Am 4. Oktober 1720 wurde Giambattista Piranesi (1720-1778), Meister der Radierungen, geboren. Die Casa di Goethe, einziges deutsches Museum im Ausland, (Förderung: Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien und AsKI e.V.) feiert den großen Künstler mit einer besonderen Gegenüberstellung: rund vierzig Stiche, Rom-Veduten und Capricci aus der hauseigenen Sammlung werden gemeinsam mit Werken zeitgenössischer deutscher und italienischer Künstler ausgestellt. Bis heute sind Piranesis Bilderwelt und künstlerischer Einfluss äußerst präsent. Die von Museumsleiterin Maria Gazzetti kuratierte Schau ist ein Dialog von zeitgenössischen Künstlern und Architekten aus unterschiedlichen Generationen mit Piranesi.
Zu sehen sind Arbeiten von Fotografen, bildenden Künstlern, einer Schriftstellerin und einem Architekten: Gabriele Basilico (*1944-2013), Sebastian Felix Ernst (*1987), Flaminia Lizzani (*1963), Elisa Montessori (*1931), Gloria Pastore (*1949) Max Renkel (*1966) und Judith Schalansky (*1980). Außerdem wird eine der 964 wertvollen Originaldruckplatten Piranesis gezeigt, die im Istituto Centrale per la Grafica Rom (Palazzo Poli) aufbewahrt werden. Dort befand sich u.a. von 1854 bis 1884 der Sitz des Deutschen Künstlervereins, dessen Archiv und Bibliothek in der Casa di Goethe aufbewahrt wird, und der kürzlich die Ausstellung „Quellen der Inspiration“ gewidmet wurde.
Ausgeprägte Schatten, Nahansichten, diagonale Schnitte, bewegter Himmel und raffinierte Abstufungen – der gebürtige Venezianer und Wahlrömer Piranesi zeigt uns klassische Ruinen und antike Monumente der Ewigen Stadt mit Vegetation und phantasmagorischen Figuren. Piazza del Popolo, das Kolosseum, das Pantheon, Piazza Navona, der Petersplatz – gestern wie heute sind Nachdrucke der Motive des zwischen 1747 und 1778 entstandenen Radierungszyklus ein äußerst beliebtes Souvenir. „Wenn wir ihn mit anderen Schöpfern vergleichen wollten, könnten wir ihn nicht anders, als ihn den Rembrandt der antiken Ruinen zu bezeichnen“, so der erste Biograph Ludovico Bianconi im Jahre 1779.
J. W. Goethe kannte die Werke Piranesis, der ihn auf den „colossalen Begriff“ römischer Monumente vorbereitet hatte, hatte aber mit Ausdruckskraft dieser Bilder auch seine Schwierigkeiten. In der Italienischen Reise erinnert er sich an den Besuch der „Caracallischen Bäder, von denen uns Piranesi so manches Effectreiche vorgefabelt“
Piranesi blickt als Architekt, Bühnenbildner und Kenner der römischen Geschichte auf die Stadt, als ein Künstler, der unter dem Einfluss der venezianischen perspektiventreuen Vedutenmalerei steht. Aber auch als Visionär, Erschaffer von Utopien, der antike Strukturen durch perfekte druckgraphische Technik und besondere Blickpunkte wieder zum Leben erweckt. Daran knüpfte das Projekt „Piranesi Roma Basilico“, mit den der legendäre Landschaftsfotograf Gabriele Basilico 2010 von der Giorgio-Cini-Stiftung beauftragt wurde. Die Fotos sind in diesem Jahr wieder in Venedig im Palazzo Cini zu sehen (bis 23. November 2020). Giovanna Calvenzi, Fotoredakteurin und Witwe von Basilico, hat eine dieser Aufnahmen für die Ausstellung in der Casa di Goethe zur Verfügung gestellt.
Zentrales Thema der römischen Schau ist die Faszination, die Piranesi auf heutige Künstler ausübt.
Der Architekt Sebastian Felix Ernst, 2019-2020 Stipendiat der Deutschen Akademie Villa Massimo, hat gemeinsam mit seinem Studentischen Team aus Dessau sowohl die Werke Piranesis als auch die originalen Schauplätze antiker und neuzeitlicher römischer Architektur studiert und sie in 21 Tafeln mit kreativen digitalen Mitteln in Vedute festgehalten, die den spekulativen, interpretativen und utopischen Charakter der Piranesi-Visionen unterstreichen. Ein Beispiel dieser Auseinandersetzung ist in der Ausstellung zu sehen. Für Flaminia Lizzani ist es Piranesis „verzweifelte, durchdringende, tiefe und gesteigerte Innerlichkeit“, die sie in ihren Handy-Fotografien u.a. im römischen Viertel Prenestino umsetzt, für andere die übersteigerte Darstellung des Details in der Monumentalität. Elisa Montessori hingegen konzentriert sich mit einfachem eloxiertem Aluminium auf die Suche nach den Symbolen der Details, inspiriert von dem, was Piranesis Hände und seine Besessenheit vom Zeichnen schufen.
Für Gloria Pastore hat Piranesi mit seinen Übertreibungen die Grenzen der Einbildungen erweitert und damit eine neue Vision auf die Ruinen ermöglicht. Mit eigenen Arbeiten, Beispielen aus seiner Sammlung und einigen Erinnerungen zeigt Max Renkel seine Beziehung zum historischen Piranesi und damit dessen Kontinuität in der Bilderwelt von heute auf. Außerdem werden Auszüge der Erzählung Villa Sacchetti der Berliner Schriftstellerin Judith Schalanksy in die Schau eingebaut (Aus dem Band: Verzeichnis einiger Verluste , Berlin 2018, It., Inventario di alcune cose perdute, Milano 2020).
Auf diese Weise hinterfragt die Ausstellung die Reaktionen heutiger Künstler auf die Antike: Sie stellen sich mit ihren teilweise extra für diese Ausstellung geschaffenen Werken den komplexen Fragen nach dem künstlerischen Traums der Perfektion, der Ruinenfaszination, die eine ewige Gegenwart evozieren, die heute mehr denn je Vergangenheit und Erinnerung auszulöschen scheint.