Direktor des Goethe-Hauses in Rom beginnt sein Amt

 

Der Wunsch nach Veränderung

Von Anna Mertens (KNA) 11.04.2022 11:22

Rom (KNA) – Gregor H. Lersch (43) ist neuer Direktor der Casa di Goethe, dem Goethe-Haus in Rom. Anfang April hat der aus Berlin kommende Kulturwissenschaftler die Leitung des kleinen Museums unweit der Piazza del Popolo übernommen. Im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) erzählt er, was er sich vorgenommen hat und was das Museum so besonders macht.

KNA: Herr Lersch, die Casa di Goethe ist das einzige deutsche Museum im Ausland – wie erklärt sich der Superlativ?

Gregor H. Lersch: Es ist tatsächlich das einzige von öffentlichem Geld finanzierte Museum außerhalb von Deutschland. Die Finanzierung läuft über die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien. Diese Konstruktion gibt es sonst nirgendwo. Das macht es so besonders.

KNA: Verspüren Sie dadurch einen besonderen Erwartungsdruck?

Lersch: Den Erwartungsdruck gibt es wenn in Deutschland, weniger in Italien und vor allem in Rom. Hier sind wir ein kleines und spezifisches Museum. Von daher fühle ich die Herausforderung, den Ort innerhalb der lokalen Kulturlandschaft weiterzuentwickeln, und will abgesehen von den deutschen Touristen auch das italienische und junge Publikum ansprechen.

KNA: Wer ist der klassische Besucher?

Lersch: Es gibt täglich Personen, die auf den Spuren von Goethes italienischer Reise das Haus besuchen, sowie Kulturinteressierte aus aller Welt. Und es gibt es Schulklassen – aus Italien und Deutschland – , die jetzt nach Corona endlich wiederkommen. Vor allem die kleinen Häuser haben unter der Pandemie sehr gelitten. Unsere zentrale Lage hilft uns, aber wir befinden uns im ersten Stock und müssen die Besucher hineinlocken.

KNA: Die Casa di Goethe feiert in diesem Jahr 25-Jahr-Jubiläum. Was zeichnet das Museum aus?

Lersch: Der Besucher kann hier in die Zeit von Goethe und in die deutsche “Italiensehnsucht” eintauchen, dazu Werke der Maler Johann Tischbein, Johann Georg Schütz, Johann Friedrich Bury und anderer sehen. Von 1786 bis 1788 lebten sie hier zusammen in einer Art Wohngemeinschaft. Das Ausstellungs- und Veranstaltungsprogramm geht darüber hinaus und beschäftigt sich mit Kunst und Literatur bis in die Gegenwart.

KNA: Was hat sich in den 25 Jahren verändert?

Lersch: Die größte Veränderung war sicher, dass 2012 eine weitere Etage ergänzt wurde, in der das Museum die Bibliothek des Deutschen Künstlervereins bewahrt und erforscht. Zudem wächst die Sammlung stetig, wir kaufen an und erhalten Schenkungen. Ansonsten hat sich die Dauerausstellung seit 1997 nicht grundlegend weiterentwickelt. Ich sehe es als große Aufgabe, diese in den kommenden Jahren zu verändern, durch neue Fragestellungen und mehr Bezug zur Gegenwart.

KNA: Ihre Vorgängerin Maria Gazzetti war beinahe zehn Jahre Direktorin, was wollen Sie weiterführen, was verändern?

Lersch: Ich knüpfe an vieles an. Mir ist es ein großes Anliegen, das deutsch-italienische Verhältnis zu spiegeln, also auch italienische Literaten und Künstler einzubeziehen, ein Schwerpunkt wird die Kunst des 20. Jahrhunderts sein. Und im Oktober eröffnet eine Ausstellung mit zeitgenössischen Künstlern aus Italien und Deutschland mit dem Thema “Der Blick auf den Anderen”, das ist ein sehr wichtiger Aspekt für mich.

KNA: Was ist Ihre persönliche Beziehung zu Italien?

Lersch: In erster Linie ist sie privater Natur. Meine Frau ist Italienerin und wir haben Familie hier. Italien als Land, aber vor allem die deutsch-italienischen Beziehungen sind sehr komplex geworden in den vergangenen Jahrzehnten. Das Verhältnis hat durch nationale und europäische Krisen und die diversen populistischen Bewegungen Risse bekommen – Italien ist nicht nur “das Land, wo die Zitronen blühen”.

KNA: Und was ist ihre Beziehung zu Goethe?

Lersch: Die ist zwiegespalten. Wie viele habe ich Goethe in der Schule gelesen. Da war ich erstmal nicht angesprochen. Später bin ich durch das Theater und Faust-Inszenierungen Goethe-begeistert worden. Dort hat mich zunächst seine Auseinandersetzung mit dem Dunklen, dem Bösen fasziniert. Das Werk ist unglaublich reich, bis hin zu Naturwissenschaften und dem Interesse am Orient – und vor allem: Das meiste hat auch heute Relevanz.

KNA: Sie kommen aus Berlin, haben dort am Jüdischen Museum als Kurator gearbeitet. Welche Erfahrungen bringen Sie nach Rom mit?

Lersch: Dass sich Kultur immer aus ganz vielen Elementen zusammensetzt und diverse, komplexe Einflüsse Gesellschaften formen – das trifft ja in gewisser Weise auch auf den Einfluss Italiens auf die deutsche Kultur zu. Zudem eine Sensibilität für die Relevanz in der Gegenwart und das Erbe des 20. Jahrhunderts. So ist es wichtig für mich, in die Dauerausstellung zu integrieren, dass in diesem Haus von der Portiersfamilie während der deutschen Besatzung ein Jude versteckt wurde.

KNA: Was ist der Zeithorizont für Ihre Arbeit hier?

Lersch: Ich habe mir vorgenommen, dass man bereits in den kommenden zwölf Monaten sieht, dass das Museumsprogramm und die Dauerausstellung um neue Fragestellungen ergänzt wurden. Das ist sehr wichtig nach Corona.

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